Radikale Akzeptanz

 

Love it, change it or leave it?

 Ein Plädoyer für mehr Akzeptanz.

 

Love it, change it or leave it, liebe was du tust, tue, was du liebst. Jeder, der sich eine gewisse Zeit bei Instagram oder in anderen sozialen Medien rumtreibt, stolpert automatisch über diese oder ähnliche Sätze. Love it. Klingt doch erstmal wunderbar. Seinen Job, seinen Alltag und die Menschen, die einen umgeben, zu lieben, erscheint mir durchaus erstrebenswert. Change it. Liebe ich meinen Job, meinen Alltag und die Menschen um mich herum nicht, verändere ich etwas. Ich kann nicht nur meine Situation oder meine Einstellung ändern und hinterfragen, sondern auch mit wem ich mich umgebe, wo und wie ich lebe. Leave it. Ich kann jederzeit gehen. Ich kann meinen Job kündigen, aus dem Alltag ausbrechen, ein Sabbathical nehmen, auswandern, Beziehungen und Freundschaften beenden. Und etwas Neues beginnen, das ich liebe. Neue Menschen kennenlernen, etwas Neues entdecken.

 

Eigentlich doch ein fantastisches Prinzip. Es klingt nach Neugier, nach Aufbruch und Mut. Und trotzdem erzeugt es bei mir manchmal ein komisches Gefühl. Es macht Druck. Druck sich permanent selbst zu optimieren, sich nicht mit dem Status Quo zufrieden zu geben. Ein "geht so" ist nicht akzeptabel, schließlich hat man es doch selbst in der Hand, es besser zu machen. Es wertet, das Normale, das Beschwerliche, das Anstrengende, das auch zum Leben dazu gehört, ab.

 Wie oft im Leben, stehen wir vor der Situation, dass nicht alles geht? Vor allem nicht alles gleichzeitig. Oder wo Veränderung möglich ist, aber nicht sofort.

 Natürlich gibt es diese Menschen, die alles schaffen, die Mütter, die trotz drei Kindern eine Karriere im Top-Management machen und dabei noch blendend aussehen, oder die, die sich radikal verändern, das Paar, das seinen gut bezahlten Job kündigt und als Reiseblogger um die Welt zieht. Die meisten Menschen tun aber ziemlich normale Dinge. Sie haben einen Job, der ok ist, aber manchmal nervt. Sie haben Kinder, sind vielleicht alleinerziehend oder pflegen Angehörige. Sie putzen, gehen einkaufen oder machen die Steuererklärung. Sie lieben es nicht und tun es trotzdem.

 

Ein Grund zum Resignieren? Ich finde nicht. Die Suche nach dem Lebenstraum, der Wunsch nach persönlicher Erfüllung, Veränderung und Entwicklung ist wunderbar und wichtig. Aber wir brauchen auch den Alltag, das Gewohnte und Gewöhnliche, das Langweile, um das Besondere und die kleinen Glücksmomente zu schätzen.

 

Aber wie gelingt es, Durststrecken zu überstehen, in denen ich mir Veränderung wünsche, diese aber JETZT IN DIESEM MOMENT nicht erreichen kann? Der alte Job nervt, ein neuer ist noch nicht in Sichtweite. Das Schreibaby lässt gerade keinen Raum für die Partnerschaft. Eine Krankheit hat die beruflichen Pläne durchkreuzt. Wenn "love it" und "change it" gerade nicht möglich sind, ist "leave it" nicht immer die beste Lösung. Ich bin bestimmt kein Verfechter davon, Dinge auszuhalten, auch wenn Sie einem nicht gut tun oder man unzufrieden ist, aber manchmal braucht man einen langen Atem und einen gewissen Pragmatismus, um langfristig Zufriedenheit zu erreichen.

 

Das Zauberwort heißt Akzeptanz.

 

Es ist gerade, wie es ist. Akzeptanz hat keine Richtung und kein Ziel. Der erste Schritt ist es, Dinge anzunehmen. So wie sie sind. Nicht mehr und nicht weniger. Es geht nicht darum, Dinge schönzureden, zu bagatellisieren oder sie zu leugnen. Akzeptanz klingt erstmal passiv, ist aber ein Motor für Veränderung. Wenn ich den Gedanken zulasse, dass eine Situation JETZT IN DIESEM MOMENT nicht veränderbar ist, höre ich auf zu hadern. Hadern macht unzufrieden und unglücklich.

 

In der Psychologie gibt es das Konzept der "Radikalen Akzeptanz". Hier geht es darum, einschneidende Erlebnisse, die unabänderlich sind, wie z.B. eine schwere Krankheit oder der Tod eines Angehörigen anzunehmen. Was ich annehme, kann ich verarbeiten und bleibe nicht in Leid oder Trauer verhaftet. Deshalb erfordert radikale Akzeptanz Mut. Gleichzeit ermöglicht es, dass man sich selbst von tiefgreifenden Krisen erholen kann.

Das Konzept eignet sich aber auch für den alltäglichen Umgang mit Stress, Belastungen und der eigenen Unzufriedenheit, für Situationen, die unabänderlich sind, oder die ich nicht sofort verändern kann. Ich kann mich über verpasste Chancen ärgern, ich kann aber auch akzeptieren, dass ich meinen Weg so gegangen bin, wie ich es getan habe und dieser Umstand nicht mehr zu ändern ist. Wenn ich aktzeptiere, dass eine Situation gerade schwierig und anstrengend ist, verschwende ich weniger Energie darauf, dagegen anzukämpfen und kann mich auf etwas anderes fokussieren.

 

Im Coaching spielt Veränderung eine große Rolle. In einer Welt, in der alles permanent im Wandel ist, in der man sich auf vielfältige Weise verwirklichen kann, ist die Fähigkeit zur Veränderung eine unabdingbare Kompetenz. Changemanagement, agiles Führen, agiles Projektmanagement, das Streben nach Veränderung ist auch im Unternehmenskontext allgegenwärtig. Veränderungen sind aber nicht per se gut und auch kein Selbstzweck. Im Coaching ist die Wertschätzung des Bestehenden, die Identifizierung des Guten im Schlechten Voraussetzung für die nächsten Schritte. Und dafür braucht es – Akzeptanz.